Helma Hörath
Es ist die vierte Ausstellung, die Künstlerinnen der Region vereint. Gemeinsam hatte die Gruppe, die gegenwärtig 21 Frauen umfasst, vor Monaten beschlossen, das Thema "Prinzip Mutter" gedanklich und künstlerisch zu verarbeiten.
Diese Arbeiten, die in dem Prozess der Beschäftigung mit diesem Thema entstanden sind, die dabei aber auch teilweise verworfen wurden und wieder zu neuen künstlerischen Schöpfungen führten, diese Arbeiten, von denen hier und heute 38 zu sehen sind, bedienen fast alle Genre der bildenden Kunst: Fotografie, Malerei, Bildhauerei, Sprachkunst, Textilkunst. Verzeihen Sie es mir, aber für mich gehören auch die Sprache und ihre meisterliche Beherrschung zur bildenden Kunst.
Ja, Textilien sind der Stoff, der wohl am längsten mit der Geschichte von Frauen und ihrem künstlerischen Wirken verbunden ist. Frauen hatten die Aufgabe, neben der Ernährung auch die Kleidung der Familie zu sichern. So spannen, webten, strickten und stickten sie ihre Träume, ihre Wünsche und ihre Hoffnungen in diese Stücke, mit denen sie ihre Kinder und Männer, aber natürlich auch sich selbst bekleideten.
Natürlich gab es auch schon vor Jahrhunderten Frauen, die malten, die komponierten, die Plastiken und Theaterstücke schufen. Aber Zeit dafür hatten nur die Klosterfrauen oder die weiblichen Mitglieder der höheren Stände. Und diese wurden nicht selten wegen ihrer künstlerischen Ambitionen belächelt, ihre Männer duldeten es wohlwollend.
Noch weit bis in das 19. Jahrhundert hinein gehörte es zum guten Ton, dass die Frau Kommerzienrat oder die Gräfin von Soundso zur Unterhaltung der Gesellschaft sang, Klavier spielte, das Empfangszimmer mit von ihr gemalten Porträts der Kinder oder mit selbst gestrickten oder gestickten Deckchen schmückte und vielleicht noch die Einladungen zur Soiree eigenhändig bemalte. Das wurde dann meist als Dilettantismus oder als Gebrauchskunst abgetan, als ganz nette Produkte und Bemühungen aus der Sonntagsschule für unterbeschäftigte Damen des Großbürgertums, die eine Abwechslung zu ihren Kaffeekränzchen und Gesellschaftstees suchten.
Es mag Ihr ungläubiges Erstaunen auslösen oder auch nicht, dass erst 1868 - also gerade vor 138 Jahren - in Berlin eine erste Zeichen- und Malschule für die professionelle Ausbildung von Künstlerinnen in Deutschland eingerichtet wurde. Nein, diese Schule war keine Dependance der Königlich-Preußischen Akademie der Künste, wie man naiverweise vermuten könnte. Es handelte sich vielmehr um eine private Einrichtung des 1867 gegründeten Vereins Berliner Künstlerinnen.
Vielleicht halten Sie es für völlig unglaubhaft, aber vielleicht auch nicht, dass ein weiteres halbes Jahrhundert vergehen musste, bis Künstlerinnen überhaupt zum ersten Mal zum offiziellen Studium an der Kunst-Akademie zugelassen wurden. Das war 1919. Dabei gilt es zu bedenken, dass die Künstlerinnen in diesen fünf langen Jahrzehnten nicht gerade still in ihrer Schule vor sich hinwerkelten. Im Gegenteil, sie kämpften in dieser Zeit mit Geschick und Ausdauer für ihr Recht auf staatliche Ausbildung. Dazu suchten sie sich sogar Verbündete im Preußischen Landtag und im Reichstag.
Mehrfach wurden die Forderungen der Frauen auf die Tagesordnung gesetzt. Und dennoch hatten die Künstlerinnen womöglich am Ende nur deswegen Erfolg, weil das deutsche Kaiserreich unterging und sich die ganze Gesellschaft in einem Umbruch befand.
Traten Männer in die Akademie ein, dann hatten sie sich damit gleichzeitig entschieden, die Wissenschaft oder auch die Kunst zu ihrem Beruf und meist zu ihrer alleinigen Berufung im Leben zu machen. Frauen hatten diese Möglichkeit der Entscheidung erst gar nicht, denn sie waren ja in der Regel meist Hausfrauen und Mütter. Immer hatten sie neben ihren beruflichen Aufgaben das Leben in der Familie zu organisieren und wurden oftmals gerade deswegen als Schmalspurwissenschaftlerin oder als Hobbykünstlerin angesehen, es sei denn, sie leisteten Verzicht auf Vieles, u. a. auch auf Familie und Muttersein. Trotz öffentlicher Anfeindungen von Frauen- und Sittlichkeitsvereinen und das Beschimpfen als wildgewordene Malweiber gingen sie ihren Weg. Aber nur wenigen gelang es, ihre Profession nahtlos mit ihrer ganz persönlichen Vorstellung von familiärem Glück zu verbinden oder sogar zu verweben.
Ja, das war früher, werden Sie sagen, heute ist es doch anders. Richtig, heute ist es keine Frage mehr, ob ein talentiertes Mädchen oder eine von ihrem Talent besessene junge Frau einen wissenschaftlichen oder auch künstlerischen Beruf ergreifen kann. Es ist heute keine Frage mehr, ob ein Gemälde, eine Skulptur oder ein anderes Kunstwerk von einer Frau oder von einem Mann geschaffen wurde. Das sollte man denken. Und doch: Auch heute noch ist es nachweislich so, dass ein Ausstellungsmacher eher ein mittelmäßiges Werk eines Mannes auswählt und als ausstellungswürdig ansieht, denn ein von Frauen geschaffenes Werk gleicher Qualität. Und nicht selten können auch heute Frauen ihre künstlerischen Ambitionen erst zu einer wahren Profession ausreifen und auf einer hohen Ebene ausüben, wenn die Kinder aus dem Haus sind, wenn eine berufliche Veränderung droht oder sich möglich macht, wenn die Alltagsaufgaben ihnen Zeit dafür lassen, wenn sie sich endlich entschieden haben, ihre eigenen Lebensziele zu erkennen bzw. neu zu definieren.
So oder ähnlich war es auch bei nicht wenigen Frauen, die sich unter dem Namen "Blutorangen" vor zwei Jahren zusammenfanden.
Im Katalogheft zur heutigen Ausstellung, deren Herstellungskosten dankenswerterweise von der Gemeinde Kleinmachnow getragen wurden, heißt es unter dem Stichwort „Wer die Blutorangen" sind:
Im Vorfeld der Organisation der 14. Brandenburger Frauenwoche 2004 hatte der Stahnsdorfer Maler Eberhard Trodler die Idee, die Werke kreativer Frauen der Region im Erdgeschoss des Stahnsdorfer Gemeindezentrums parallel zum "Markt der Möglichkeiten" auszustellen. Es gab einen Presseaufruf "Wer will so berühmt werden wie Picasso?" Es meldeten sich trotzdem 31 Frauen zwischen 17 und 79 Jahren, von der Anfängerin bis zum Vollprofi. Peggy Drost und Angelika Watteroth übernahmen die Öffentlichkeitsarbeit und verpassten der von Eberhard Trodler gekonnt zusammengestellten Ausstellung den Namen >blutorangen<.
Das Echo in der Presse war enorm. Die Mischung der beteiligten Künstlerinnen war so interessant, dass wir das Projekt über die Ausstellung hinaus als offene, unabhängige Gruppe mit Bindung zur Brandenburger Frauenwoche weiterführten.
Für dieses Jahr haben wir das Thema "Prinzip Mutter' gewählt, zu dem 21 Frauen gemalt, gezeichnet, fotografiert und geschrieben haben. Jede Einzelne hat das Thema auf ihre Weise interpretiert und umgesetzt. Da findet man Titel wie Wärme, Unterstützung, Überblick oder Aufbruch, neben der Schwangeren steht die nährende Mutter, aber auch die Trauernde.
Jede von uns hat mit den künstlerischen Mitteln gearbeitet, die ihr für die eigene Bewältigung des Themas angemessen erschienen und in der sie sich am meisten zu Hause fühlte. Wir ließen uns dabei von Filmen, Fotos, Beobachtungen in der Natur und Gesellschaft und nicht selten auch von ganz persönlichen Erlebnissen inspirieren.
Da gibt es Werke mit scheinbar auf dem ersten Blick sofort erfassbarer ganz klarer Aussage, die doch auf dem zweiten und dritten Blick noch viel mehr zu offenbaren und zu erzählen haben, die Fragen aufwerfen. Was sagt Ihnen zum Beispiel die auf Prägetapete gemalte Kommode, mit den vielen Schubfächern, das alte Möbelstück, das immer da war, wenn es gebraucht wurde, und das womöglich doch in der neuen Welt als störend empfunden werden könnte?
Es hängen und stehen solche Werke in der Ausstellung, in die man sich regelrecht versenken muss, um sie für sich aufzuschließen, und es gibt Werke, deren Farben und Formen einen zum Verweilen zwingen. Oder deren Material im ersten Augenschein so sehr erstaunt, dass man unwillkürlich ins Grübeln gerät. So ging es mir, deren Handwerkszeug die deutsche Schriftsprache ist, zum Beispiel bei den Seidenbahnen mit ihrer beeindruckenden, fesselnden Farbigkeit.
So ging es mir aber auch bei den fast unscheinbar wirkenden Skulpturen, die mich faszinieren. Zeigen sie doch Festigkeit, Verschlossenheit, Kraft und symbolisieren gleichzeitig auch das Rätselhafte, die Durchsichtigkeit und Verletzlichkeit... Ja, alles das, was sich auch mit dem Wort „Mutter" verbinden lässt.
Es ist hier eine Ausstellung entstanden, die sich sehen lassen kann. Und in diesem Falle - verzeihen Sie mir bitte - stinkt das Eigenlob nicht.
Gleichzeitig gibt es bis zum 20. März auch die Kunstmeile am Rathausmarkt:
Eine Auswahl themenungebundener Bilder wird während der Dauer der Ausstellung in den Schaufenstern des Rathausmarktes zu sehen sein. Hierfür haben 22 Frauen Arbeiten bereit gestellt. Wir hoffen, dass wir dadurch Innen- und Außenwelt verbinden, dass wir die in die Geschäfte Eilenden und mit ihren Alltagsproblemen Befassten zu einem kleinen Innehalten bringen und dass wir außerdem Menschen erreichen, die nicht gewöhnt sind, Ausstellungen zu besuchen.
Kunst kommt von Können, sagte meine Oma Martha immer. Was ich früher nur als eine Wortspielerei meiner erfindungsreichen Großmutter hielt, entpuppt sich aber bei näherer Betrachtung als eine Wahrheit. Denn das Wort Kunst und sein ursprünglicher Sinninhalt kommen aus dem Althochdeutschen. In der Sprache unserer Altvorderen bedeutete es so viel wie Wissen, Weisheit, Kenntnis, Fertigkeit.
Und gerade das alles vereint die Frauen, die sich mit Lust, liebe und Leidenschaft der Kunst verschrieben haben, die sich mit ihrer ganzen Individualität gemeinsam unter dem bisherigen Namen „Blutorangen" öffentlich zur Diskussion stellen.
Dass es sich dabei um Frauen, um Hausfrauen und Mütter handelt, um Tanten und Schwestern, um Töchter und Großmütter, um Künstlerinnen, die sich mit der Kunst als Hauptberuf beschäftigen, und dass es sich daneben gleichzeitig um solche Künstlerinnen handelt, die enthusiastisch aus ihrem Hobby eine Lebensaufgabe machen, ja, das ist gerade das Besondere, das Außergewöhnliche an diesen Blutorangen.
Die Kunstgeschichte in Europa kennt nicht wenige Kunstwerkstätten und Künstlervereinigungen, aber nur sehr, sehr wenige sind vollkommen weiblich besetzt.
Zu diesen wenigen gehören auch die Blutorangen. Sie haben den großen Vorzug, dass sie sich nicht nur gegenseitig ihre Werke zeigen, dass sie nicht nur mit einander Gespräche führen, sondern dass sie sich jederzeit die Möglichkeit einräumen, von einander zu lernen, und das in jeder Hinsicht und jeder Richtung.
Das allein wäre doch schon eine Würdigung wert. Aber deswegen haben Sie sich alle heute nicht hierher im Kleinmachnower Rathaus versammelt.
Und so kommen wir nun endlich zum Höhepunkt des heutigen Abends:
Wir laden Sie nach der Darbietung von Paula Klein herzlich ein, mit uns gemeinsam oder auch allein an unseren Kunstwerken vorbeizulaufen, stehen zu bleiben und sich das eine oder andere Werk länger zu betrachten, die Begleittexte zu lesen.
Wir wären hoch erfreut, wenn Ihnen unsere Ausstellung gefallen würde, wenn Sie die eine oder andere Interpretation unseres Ausstellungsthemas so ungewöhnlich fänden, dass Sie mit uns darüber diskutieren wollten, dass Sie einfach mit uns darüber sprechen müssen. Wenn wir Sie mit unseren kleinen und großen Werken anregen könnten, und dabei zeigen die gewählten Attribute die Dimensionen und nur die Dimensionen an also, wenn wir Sie mit unseren Werken anregen, über das "Prinzip Mutter" nachzudenken, dann haben wir unser Ziel erreicht.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.