Helma Hörath

Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung „Wasserwelten", Sommer 2006

WASSERWELTEN – so nannten die Blutorangen ihre zweite Ausstellung des Jahres 2006. Inspirierender Anlass zur Beschäftigung mit diesem Thema war der 100. Jahrestag der Eröffnung des Teltow-Kanals, der künstlichen Wasserstraße, die die Landschaft unseres unmittelbaren Lebensumkreises hier in Teltow, Kleinmachnow, Stahnsdorf und Berlin-Zehlendorf durchschneidet und viele Jahre eine sichtbare Grenze und doch nicht zu begrenzende Verbindung von Ost und West darstellte.

Die heute etwa 70- und 80jährigen haben ganz sicher noch Erinnerungen an die Kriegshandlungen 1945 am Teltow-Kanal, an die Pontonbrücke und das Übersetzen der Roten Armee auf ihrem Weg nach Berlin, um in der Hauptstadt von Nazi-Deutschland den Zweiten Weltkrieg zu beenden.

Die heute etwa 60jährigen werden in ihren Alben vielleicht Fotos von ihrer Kindheit der 50er Jahre haben, als sie noch gebannt an der Kleinmachnower Schleuse dem Auf- oder Absenken der Schiffe zuschauten, im Teltow-Kanal baden und Flaschenpostsendungen empfangen und abschicken konnten.

Für 50- und 40jährigen gibt es vielleicht nur die Erinnerung an das Entenfüttern, das Beobachten von Blesshühnern, Haubentauchern und Fischreihern. Denn der Teltow-Kanal bildete sowohl links wie auch rechts der Mauer oft ein Ziel für den familiären Sonntagsspaziergang, auch wenn sich an beiden Ufern Industriegelände erstreckten, aber man das Baden im Kanal schon lange nicht mehr betreiben konnte, denn sein Wasser gehörte zu dem schmutzigsten, was Berlin und Umland zu bieten hatten. Aber da waren auch manchmal Schüsse in der Nacht. Wir Kinder zogen uns die Decke über den Kopf und die Erwachsenen meinten dann am Frühstückstisch: „Hat es wieder einer versucht." Abgesehen von Polizeibooten, durfte der Kanal von Binnenschiffen nur kurz nach dem August 1961 befahren werden und dann gar nicht mehr.

Erhaltungsmaßnahmen wurden kaum noch durchgeführt. Und so eroberte sich die Natur dieses Werk von Menschenhand, das stellenweise dadurch einen ganz idyllischen Eindruck machte, wenn man z. B. den Kleinmachnower See vor Augen hat. Irgendwann, als die DDR-Regierung meinte, mit dem Befahren des Teltow-Kanals entweder die Produkte der Teltower Betriebe billiger transportieren zu lassen, oder mit der Genehmigung für West-Schiffe dringend benötigte Devisen (sprich D-Mark) einnehmen zu können, wurde das Ufer mit senkrecht in die Erde gerammten Eisenträgern befestigt. Das Grundwasser stieg damit in den kanalnahen Gärten manchmal bedrohlich an, denn es konnte bei starkem Regen nicht mehr so schnell in das Kanalbett fließen. Als dann wieder aus Richtung Westen das Tuckern der Motoren zu hören war, durften die Schiffer aber mit uns Ost-Spaziergängern keinen Kontakt aufnehmen, würden sie damit doch ihre Zulassung in der DDR aufs Spiel setzen. Wie dankbar waren wir deshalb einem holländischen Schiffer, der unseren wasserliebenden Hund, der zum Entsetzen unserer ganzen Familie an einem Oktobersonntag mit einem großen Satz ins Wassersprang, dann an der eisernen Uferbefestigung nicht mehr empor klettern konnte und unsere Arme zum Zufassen zu kurz waren, in sein Schiff zog und uns am Ufer übergab. Ganz sicher konnten die damaligen Kinder und jungen Leute von heute gar nicht begreifen, warum wir Alten wie elektrisiert stehenblieben, als nach 1990 die ersten Schiffssirenen auf dem Teltow-Kanal ertönten und wir den Schiffern einen Gruß von der Brücke zuwinkten konnten. Für unsere Kinder und Enkelkinder sind Kähne und Boote auf dem Teltow-Kanal ein gewohntes Bild, das sie gar nicht mehr beachten.

Genauso alltäglich ist für uns Europäer der Umgang mit Wasser. Seine Herkunft auf der Erde ist bis heute nicht befriedigend geklärt. Ein Teil von ihm gelangte zweifellos durch das Ausgasen von Magma in die Atmosphäre, stammt also letztlich aus dem Erinnern.

Vielleicht ist es dieser Faden in die Urtiefen unseres Planeten, der uns Menschen beim Anblick des Erdwassers dazu bringt, innezuhalten, still zu werden, Gedichte zu schreiben, Bilder zu malen, lieder zu singen, Wassermusiken aufzuführen, möglichst alle Eindrücke unvergesslich für immer und ewig auf Fotografien sowie Filmen festzuhalten und den Klang des Wassers über kunstfertige Brunneninstallationen bis in unsere Städte, sogar bis in unsere Wohnhäuser hineinzuholen.

Auf Grund der Wichtigkeit des Wassers für jedwedes Leben auf unserem Planeten wird es schon von den alten griechischen Philosophen neben Feuer, Luft und Erde zu den vier Urelementen gerechnet. Vor allem die reinigende Kraft des Wassers gab ihnen und vielen, die nach ihnen kamen, immer wieder den Anlass, über die Bedeutung des Wassers für das Leben sowie für ein Leben nach dem Tode nachzudenken.

In der bildenden Kunst spielt die Darstellung des Wassers als zunächst dualistisch erscheinendes Prinzip - es spendet und es nimmt Leben - eine bedeutende Rolle. Diese Doppelsymbolik des Wassers ist über alle Zeiten, in allen Kulturen und somit auch nahezu für alle Stilepochen der Kunstgeschichte von Bedeutung. Sie findet im Kontext der jeweiligen Mythen, Religionen und Geisteshaltungen entsprechend bildnerische Umsetzung.

Im Mittelalter, als noch die Kirche der größte Auftraggeber für die Künste war, wurden bezaubernde Gartenmotive in die Darstellungen religiöser Themen eingearbeitet. Der heutigen Ausgabe der Berliner Morgenpost lag eine Kunstpostkarte bei. Sie zeigt eine Abbildung der Mitteltafel des Johannesaltars, den Rogier van der Weyden um 1455 geschaffen hat. Berühmt für die besondere Räumlichkeit seiner Werke, setzt er hinter die biblische Szene den blutroten Sonnenball über eine Flusslandschaft .

Auf Renaissancegemälden wie Raffaels „Madonna mit dem Stieglitz" (1506) locken hinter den Madonnen mit ernsten und zarten Gesichtern herrliche Flüsse und Seen. Zwei Hundert Jahre später malte John Constable (1776-1837) sich auftürmende Wolken, windzerzauste Kornfelder und klares Wasser mit derselben Verehrung und Leidenschaft, die früher den religiösen Sujets galten. In der Malerei des endenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts - also ganz besonders in der Kunst der Romantik - wurde die Landschaft als Metapher für die Seele mit ihrem Auf und Ab entdeckt. So entspricht auch das Wasser als Teil dieser „doppelten" Natur dem menschlichen Befinden, ob nun in stürmischer Erregung oder Regungslosigkeit, als grenzenloser Ozean und als begrenzter Teich, als mächtiger Wasserfall oder stillplätschernde Quelle. Wieder hundert Jahre später setzten die Surrealisten gern das Wasser in allen Formen seiner Erscheinung wie z.B. Tränen und Regen mit der Frau gleich.

Auch in der gegenwärtigen Kunst hat Wasser seine Magie nicht verloren. Als Weltenfluss bestimmt die Wasserkraft oftmals unbewusst Farb- und Pinselstrich. Und auf einer der Inseln dieses Flusses steht ein riesiger Baum, an dem jeder Ast andere Blätter, Blüten und Früchte trägt. Dort leuchten auch an einem zarten, aber doch gut sichtbaren Zweiglein - Sie werden es kaum glauben - kleine Blutorangen.

So stehen wir mit unseren Werken in enger Beziehung zu allen die vor uns waren, die mit uns gemeinsam dem Lebensbaum der Kunst immer wieder neue Nahrung geben. Was die „Blutorangen" zum Thema Wasser als Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen zu sagen haben, das zeigen sie hier in dieser Ausstellung. So unterschiedlich wie wir Frauen, so sind unsere Werke. Da gibt es die Wellen, die Brandung, das Land, den Himmel, die Sonne, den Mond, das Ufer, die Farben, den Frühlingswind über dem Wasserspiegel, das Vergnügen am und im Wasser, die Kraft des Wassers, die blaue Lagune, die Seerosen, die Boote, den Fischer, den Surfer, das Meer, den Fluss, den Teltow-Kanal, die Schleuse... So vielfältig wie die hier aufgezählten Begriffe sind auch die Techniken und die verwendeten Materialien. Sie beginnen bei Ölfarbe, Acryl, Pigmenten und Pastellkreiden auf Leinwand oder Karton und enden nicht zuletzt bei Bleistiftzeichnungen und Photographien.

Aber die Worte über eine Sache, die man sehen und auf sich wirken lassen muss, sind genügend gesprochen. Jetzt laden wir Sie ein, sich ein eigenes Bild von unserer Ausstellung "Wasserwelten" zu machen. Viel Vergnügen!

  

www.maliblu.de