Helma Hörath

LA DANZA

Ausstellung zum Thema Tanz in allen Variationen in der Kleinmachnower Tanzschule von Roberto Wilhelm, Oktober 2009

Was ist Tanz?
Raum, Symbol:
Endliches mit Unendlichem geformt, durchdrungen, gebaut.
Tanz ist eine Sprache, die im Menschen ureingeboren schlummert.
Tanz ist die Sprache des bewegten Körpers.
Tanz ist Ausdruck des gesteigerten Lebensgefühls.
Tanz ist ein einziges rhythmisches Schwingen oder Fluten, in dem noch die kleinste Geste von dem großen, unendlichen Bewegungsstrom mit getragen wird.
Tanz ist Einheit von Ausdruck und Funktion, durchleuchtete Körperlichkeit, beseelte Form.
Ohne Ekstase kein Tanz! Ohne Form kein Tanz!

So charakterisierte vor fast 100 Jahren eine der ganz großen, den professionellen Tanz revolutionierenden Frau diesen Begriff, mit dem wir >blutorangen< uns seit Monaten auseinandersetzten und deren Ergebnisse wir Ihnen hier an dieser sozusagen einschlägigen Stätte präsentieren.

Es war Mary Wigman, die ich gerade zitierte, die aus ihrem eigenen Erleben heraus definierte, was denn der Tanz eigentlich sei, um gleichzeitig mit dem Hinweis auf die Form dieses wesentliche Medium körperlicher Ausdrucksmöglichkeit an seinen Platz in der jeweiligen Gesellschaft zu stellen.

Der Tanz war in der zeit unserer Urahnen mehr als ein augenblicklicher Gefühlsüberschwang. Er war auch mehr als ein ausdrucksvolles Gebet. Er war die wichtigste magische Praktik. Er war, er ist die älteste und elementarste Form der spirituellen Äußerung. Aus ihr entwickelte sich jene Ausdrucksrichtung, die wir heute Kunst nennen.

Getanzt haben die Menschen immer, irgendwie, irgendwas, zur eigenen Freude, zur Machtdemonstration, zur Besänftigung der Götter, für Jagdzauber sowie für liebesglück. Wie stark der angeborene Rhythmusdrang ist, kann man feststellen, wenn man einem Kleinkind Musik vorspielt. Über kurz oder lang wird es jauchzen und die Musik in seine Bewegungen aufnehmen. Heute weiß man, dass auch das ungeborene Kind schon im Mutterleib in der Lage ist, Stimmen und Rhythmen zu registrieren und diese auch wiederzuerkennen.

Kein nüchterner Mensch tanzt. Das sagte Cicero und seine Worte bringen die ganze Verachtung zum Ausdruck, die die herrschenden Schichten Roms für eine Kunst hatten, die es vermochte, die angesehenen männlich-rationalen Werte und militärischen Tugenden in Frage zu stellen. Ihrer sozialen Diskriminierung entsprechend, blieben kultisch-rituelle oder ekstatische Tänze in der römischen Antike unbedeutend. Erst mit der Unterwerfung des hellenistischen Ostens fanden etruskische und griechische Tänze Eingang in das kulturelle Leben Roms und wurden sogar in die Erziehung wohlhabender Schichten einbezogen. Zum Erlernen tänzerischer Fertigkeiten wurden Tanzschulen gegründet, um sie dann auf Grund der angeblichen Gefahr einer sozialen Verrohung höherer Gesellschaftsschichten wieder schließen zu lassen. In der Zeit der Römischen Kaiserzeit erlebte der Tanz den größten Aufschwung, als pantomimische Tänze modern wurden. Pantomime, die Götter- und Heldengeschichten darstellten, wurden am Kaiserhof hochgeehrt und mit viel Reichtum versehen.

Und jetzt machen wir einen riesigen Spagatsprung weit über die christlichen Jahrhunderte mit der Verteufelung der Körperlichkeit und damit auch des Tanzes als Relikt heidnischer Gebräuche hinweg. Im 16. Jahrhundert sehen wir den französischen König in seinem Hofballett die Figur des Jupiters tanzen, aber das wirklich Bedeutende war die Tatsache, dass die Figur der Circe, die als ein Stück verführerischer und bedrohlicher Natur natürlich bekämpft und unterworfen werden musste, von der Königin getanzt wurde. Erstmalig tanzte eine Frau eine Hauptrolle, was in den folgenden 100 Jahren nicht mehr passieren sollte.

Ausgangspunkt der Geschichte des neuzeitlichen Gesellschafts- und Bühnentanzes bildete der höfische Tanz als die vom 16. bis 18. Jahrhundert charakteristische Tanzform des Adels und des aufstrebenden Bürgertums.

Während das gemeine Volk - denken wir nur an Dürers tanzende Bauernpaare - noch ausgelassen in das Ende der mittelalterlichen Gesellschaft hineintanzte, hatte es sich in den gehobenen Kreisen durchgesetzt, alles zu formalisieren, vorzuschreiben, auszutüfteln, die Körperbewegung zu rationalisieren und die Menschen damit zu disziplinieren.

Anstandsregeln schrieben den höheren Schichten nicht nur beim Herrschaftstanz jeden Schritt, jede Handbewegung, jede Kopfhaltung, jede Farbnuance und jede Falte an der Kleidung vor, sondern sie forderten auch beim geselligen Tanz ein strenges Körper- und Bewegungsverhalten.

1581 gab Caroso als einer der ersten Manierenbücher-Schreiber die folgende Empfehlung: „Halte den Körper gut aufgerichtet und das Bein so, dass die Hälfte des linken Fußes vor dem rechten steht; die Spitze des rechten Fußes also in der Höhe der Höhlung des linken; ein Fuß vom andern ungefähr vier Finger breit entfernt; achte darauf, dass die Fußspitzen vollkommen geradeaus stehen und auf die Dame gerichtet sind oder jene andere Person, der du die Verbeugung auf dem Balle oder anderswo machst; und lass dir nicht einfallen, es so zu machen, wie alle es allgemein tun, dass ein Fuß nach Süden der andere nach Norden schaut, wie wenn die Füße von Natur aus verrenkt wären, was einen höchst unziemlichen Eindruck macht.“

Wer jetzt gerade in Gedanken heimlich versuchte, die von Caroso vorgegebene Beinhaltung einzunehmen und sich vielleicht dabei an die eigenen Versuche beim ersten Quickstep erinnerte, der kann ganz sicher nachempfinden, warum der Walzer in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts alle weiblichen und männlichen Herzen der jungen Generation im Sturm eroberte und warum sich ganz Europa während des gesamten 19.Jahrhunderts im Walzerrausch befand. Der Walzer mit seinen lustvollen, wirbelnden Bewegungen, deren Kreisform von den einzelnen Paaren selbst bestimmt wurde, war eine Revolution in der Tanzgeschichte. Er wurde zum Inbegriff der bürgerlichen Tanzkultur, ja er kündigte sogar zunehmende Veränderungen in den Machtpositionen der Herrschaftsschichten an. So ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass Wilhelm II. das Walzertanzen an seinem Hof verbot.

Die Drehung im Tanz ist eine Bewegung, die schon von den Naturvölkern als Erzeuger von Rausch und Ekstase erkannt und praktiziert wurde. Auch noch heute wenden zum Beispiel die tanzenden Derwische diese Tatsache ganz gezielt an, um möglicherweise Eindrücke, Gefühle und vielleicht auch Erkenntnisse in einer anderen Welt einzufangen und diese Erfahrungen mit in unsere Welt zu bringen.

Der Walzer - zwar weit entfernt von südamerikanischen Paartänzen - brachte schon in seiner Entstehungszeit Mann und Frau sehr nahe. Er veränderte den Umgang der Tanzpartner mit einander. Man spürte den Körper der Partnerin, des Partners. Der Körper aber - und zumal noch der weibliche - war auch im Bürgertum ein Zeichen der auf jeden Fall zu bekämpfenden sinnlichen Triebhaftigkeit des Menschen.

Ganz angetan von dieser “Revolution der Sinne” schrieb Goethe, der selbst jahrelang von seinem Vater mit dem Menuett-Tanzen diszipliniert wurde, 1774 in “Die Leiden des jungen Werther”: “Tanzen muss man sie sehen! Siehst Du, sie ist so mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele dabei, ihr ganzer Körper eine Harmonie, so sorglos, so unbefangen, als wenn das eigentlich alles wäre, als wenn sie sonst nichts dächte, nichts empfände (…). Und da wir nun gar ans Walzen kamen und wie die Sphären umeinander herumtollten, gings freilich anfangs, weils die wenigsten können, ein bißchen bunt durcheinander (…). Nie ists mir so leicht vom Flecke gegangen. Ich war kein Mensch mehr. Das liebenswürdigste Geschöpf in den Armen zu haben und mit ihr herumzufliegen wie Wetter, dass alles ringsumher verging.”

Neben dem Geschwindigkeitstaumel, der den veränderten Umgang mit Raum und Zeit verdeutlichte, war die Walzerdrehung die große Errungenschaft des neuen Gesellschaftstanzes, der mit und in der Bewegung ein Gefühl von romantischer Schwerelosigkeit erweckte. Er versetzte das tanzende Paar in einen gleichen Empfindungszustand.

Und das durfte nicht sein, denn das bürgerlich-männliche Ich musste einen klaren Kopf behalten. Dementsprechend warnte der Moralist Adolph von Knigge noch ein Jahr vor Ausbruch der Französischen Revolution: „Wenn das Blut in Wallungen kommt, so ist die Vernunft nicht mehr Meister der Sinnlichkeit (…). Man sei also auf der Hut! Der Tanz versetzt uns in eine Art Rausch, in welchem die Gemüter die Verstellung vergessen.”

So revolutionär der Walzer bei seiner Geburt erschien, so wurde auch in ihm die patriarchale Geschlechterordnung festgeschrieben: Der Mann führte, die Frau ließ sich führen. Der Mann besetzte im Gegensatz zum höfischen Tanz wieder die Führungsposition, die Frau erhielt zwei ziemliche ohnmächtige Alternativen: aufgefordert zu werden oder sitzen zu bleiben.

Der Walzer wird im Laufe seiner Jahre wie einst das Menuett in der Adelsgesellschaft zum Erziehungsmittel bürgerlicher Konventionen und erfuhr auch ein ähnliches Schicksal. Mit dem Anbruch des 20. Jahrhunderts setzte die Jugend den Gesellschaftstänzen ihrer Eltern neue, schnellere, freiere und vor allem körperbetontere Tänze entgegen.

Ein Teil dieser Entwicklung, die sich noch einmal in der Mitte und zum Ende des vorigen Jahrhunderts vollzog, ist in den Arbeiten der Blutorangen eingefangen. Da ist der Tango, der Swing, der Jitterbug, das Disco-Fieber, um nur einige zu nennen. Da springt die unbändige Kraft des Flamenco, der scheinbar nahtlos den Faden der Trancetänze unserer Urväter und Urmütter weitergesponnen und fest in die Gegenwart eingeflochten hat, aus den Bildern heraus oder zieht uns hinein. Da sind die manchmal geradezu poetischen, getanzten Erzählungen der orientalischen Frauen. Da fesseln aber auch immer wieder die scheinbar schwerelosen, den menschlichen Körper besiegenden Darbietungen einer Primaballerina, eines Meistertänzers. Da wird uns aber auch die Schwere dieses Berufsstandes vor Augen geführt.

Ist es ein Zufall, dass von den Blutorangen in den letzten Wochen und Monaten vor allem - nicht nur - aber doch besonders Tänzerinnen mit Farben und Pinsel auf die verschiedenen Malgründe gebannt wurden?

Ja, vielleicht, vielleicht, weil Frauenaugen nach Motiven suchten, weil weibliche Hände gezeichnet und gemalt haben. Aber vielleicht ist das auch kein Zufall. Denn: Gerade in den letzten zwei Jahrhunderte traten Tänzerinnen auf die Bühne und das Parkett, die sich durch Männer nicht mehr vom Tanzen fernhalten und sich auch nicht mehr von ihnen inszenieren ließen. Sie fanden ihren eigenen Weg zum Tanzen und zu ihrem getanzten ästhetischen Ausdruck. Eine dieser Pionierinnen des Ausdruckstanzes war im 19. Jahrhundert die Amerikanerin Isadora Duncan. Sie forderte die Frauen dazu auf, den eigenen Körper in seiner freien, melodischen, schöpferischen, räumlichen und tänzerischen Bewegung zu ergründen.

Ganz egal, von welcher bildlichen Tanzvariation unsere Augen hier in diesem oder auch in dem anderen Raum festgehalten werden, es beeindrucken bei der Darstellung die Motivausschnitte und die virtuose Einpassung in die relativ kleinen Formate, die trotz allem das Fliegen der Arme, das Wirbeln der Röcke, die absolute Spannung vom kleinen Zeh bis hinauf zum Kopf, die Leidenschaft der Herzen, das Kreiseln der Körpermitten, das Stampfen der Beine, das Schwingen der Paare vom Betrachtenden nachempfinden lässt.

Gerade diese Hingabe in die Musik, in den Rhythmus, in die Bewegung, in das Hinübergleiten, in das völlige Aufgehen in Zeit und Raum fasziniert und entführt uns sowohl in die Freude der Tanzenden als auch in die der bildenden Künstlerinnen, die bis zum 24. Oktober 2009 mit ihren 30 Werken hierher in die Tanzschule einladen, um zu schauen, um zu denken, um zu fühlen und vielleicht auch selbst zu tanzen.

 

  

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